Herr Braumeister schiebt zunächst seinen großen Bauch, dann sich selbst durch die Wohnungstür: „Deus, ich nehme mir jetzt noch genau zwanzig Minuten mit Ihnen, um in dieser Stadt innerhalb der Stadt, wie Sie sie nennen, mein Bier zu bewerben. Klappt das nicht, dann buche ich bei einer Internetagentur. Damit wir hierbei das gleiche Ziel vor Augen haben!“
Die beiden Herrschaften ignorieren die, in der Garderobe baumelnden, gebrandeten MNS-Masken, lassen eine einsame Frühlingsjacke und diverse Lieferservice-Flyer links liegen, und dringen vor bis zum Badezimmer. Am Wäscheständer vorbei zwängt sich der Brauereichef in den Raum, sein Blick wandert den Waschtisch entlang: Zahnbürsten, Desinfektionsmittel, ein Bart-Trimmer am Ladekabel und ein kleines Schildchen mit Drogeriemarktwerbung. Der Ort scheint trostlos.
„Nun Deus?“ klopft der Brauereichef ungeduldig auf seinen Bauch.
Schon streckt der Agenturchef seinen polierten Glatzkopf zur Tür herein und deutet frohlockend auf den Schriftzug am Wandspiegel – Hier könnte Ihre Werbung stehen: „Der Badezimmerspiegel ist unsere meistverkaufte Platzierung, und noch zwei Tage im Sonderangebot …“
Herr Braumeister verdreht die Augen: „Ich bitte Sie, wer steht denn hier, außer dem Wäscheständer, noch herum in Zeiten wie diesen?“
Er raunzt, auf den Berg aus Jogginghosen deutend: „überhaupt neben einem solchen werblichen Umfeld, neben diesem Mahnmal an die Verlotterung, ausgerechnet hier wollen Sie unser gutes Bier platzieren?“
Deus nickt verständnisvoll, duckt sich am Brauereichef vorbei wieder zur Tür hinaus und winkt seinen Werbekunden weiter. In der Wohnküche positioniert er sich zwischen der ausgezogenen Couch und dem großen Fernsehgerät, hebt seine Lesebrille an und deutet auf den Flachbildschirm: „In dieser Umgebung beträgt die tägliche Verweildauer in der Zielgruppe im Schnitt dreihundertachtzig Minuten, das ergibt zwei Stunden Werbeblockzeit …“
Die Ausführungen ignorierend, deutet Herr Braumeister mit seinem fleischigen Zeigefinger auf den großen Esstisch: „Das hier ist der Ort, an dem man sich am längsten aufhält. Sehen Sie, Deus, wie zerschlissen das Stuhlkissen ist? Und diese Saftgläser und Kaffeehäferl, die hier überall stehen. Könnte man das Geschirr nicht eigentlich auch mit unserem Werbespruch bekleben?“
Deus aber ist bereits zwei Meter weiter zur Küchenzeile gesprungen und klatscht lautstark seine Handfläche gegen die Kühlschanktür: „Richtig, Herr Braumeister! Wie ich so gerne sage: Am besten frontal zum Home-Office Arbeitsplatz. So wie unser bewährtes Kühlschrankplakat! Es gilt als die effizienteste Werbeform für Nahrung und Genussmittel“. Der Brauereichef folgt ihm, und stolpert beinahe über einen halbleer getrunkenen Bierkasten der Konkurrenzmarke. Er rümpft laut und deutlich die Nase: „Hier kauft man dann aber das falsche Bier. Das kann ich so nicht dulden, Deus. Sonst zahle ja ich für die Werbung und dann verkauft mein Mitbewerber sein Bier.“
Der Agenturchef schaut auf die Uhr, schielt durch die Balkontür hinaus auf eine kleine Freifläche: „Gut, dann zu unserem Reichweitenprodukt. Folgen Sie mit bitte.“
Rasch ist die Balkontür geöffnet und die beiden Herren stehen auf der sonnigen Terrasse. Ein abgewetzter Polstersessel unter einem Dachvorsprung, daneben ein Klapptischchen mit einem überquellenden Aschenbecher, auf dem diverse Logos prangen. Die breitgesessene Kuhle auf der Sesselfläche tätschelnd, trällert Deus: „Herr Braumeister, an diesem Ort kann man die Verweildauer sogar fühlen. Setzen Sie sich mal hier hin.“
Herr Braumeister plumpst in den Sessel und blinzelt über das Balkongeländer auf einen leeren Plakatrahmen am Nachbarsbalkon gegenüber.
Deus führt indes weiter aus: „Stellen Sie sich vor: Sonniges Wetter, ein Tag wie heute, der Mensch ist entspannt, das Auge schweift durstig in die Ferne, bleibt an Ihrem Plakat hängen und man möchte …“.
„… unser Bier kaufen“, nickt nun endlich breit lächelnd der Brauereichef.
Er tätschelt seinen Bauch, hält ihn liebevoll fest und hievt sich hoch, um noch einen Blick in den Innenhof zu werfen. Zwei gelangweilte Vierjährige kicken einen Ball am Spielplatz. Schon kreist Braumeisters Zeigefinger im Augenwinkel des Agenturchefs: „Dürfen Sie denn hier überhaupt Alkoholwerbung anbringen, Herr Deus?“
Deus fällt auf die Knie, tapst den Boden nach seiner Brille ab und ringt nach Worten: „Herr Braumeister, so sehen Sie doch… Außenwerbung und Plakate sind wirksam und effizient und wir haben eine so gute und so langjährige…“ Da piepst laut auf dem Smartphone des Brauereichefs. Er wischt sich den Schweiß von der Stirn und tippt auf sein Device ein: „Jö, zweihundert Likes für mein Instagram Posting. Ich sage Ihnen, Deus, steigen Sie auch endlich um auf Internetwerbung. Bei mir funktioniert es schon super“.